Von der RAF-Terroristin zur Friedensfachkraft im Kosovo
Die Aula der Katholischen Theresienschule in Berlin-Weißensee ist gerappelt voll mit Schülern, Lehrkräften, Freunden und Angehörigen an diesem Mittwochabend des 05. Novembers 2025.
Sie alle wollen die Frau live erleben, die einst als Mitglied der sogenannten 2. Generation der RAF untertauchte, sich heute von ihrer politischen Radikalisierung distanziert und öffentlich Stellung bezieht zur zentralen Frage des Abends: Ist Veränderung auch ohne Gewalt möglich? Zu Gast ist Silke Maier-Witt, Jahrgang 1950.
Organisator und Moderator des Abends ist Andreas Kühler, seines Zeichens Fachlehrer für Politikwissenschaften, der von Silke Maier-Witts in diesem Jahr erschienenen Autobiografie „Ich dachte, bis dahin bin ich tot – Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach“ (Kiepenheuer & Witsch) inspiriert wurde.
Andreas Kühler, der auch seine eigene politische Prägung und Wertvorstellungen in den 80er Jahren dem Publikum nahebringt, ist es ein Anliegen, seine Schüler zur politischen Reflexion und Selbstwirksamkeit anzuregen, also „die Suche jedes einzelnen nach der ihm eigenen politischen Ausdrucksweise zu fördern“, wie er in seiner Einleitung darlegt.
Und das gelingt ihm, indem er vier seiner Oberstufenschülerinnen – Charlotte Rupprath, Johanna Uken, Thekla Henf und Helene Mohn – als Gesprächspartnerinnen mit Silke Maier-Witt fungieren lässt und anschließend auch die Hörerschaft in eine angeregte Diskussion einbindet.
Aus den angekündigten 45 Minuten werden mehr als zwei Stunden, in der es mucksmäuschenstill im Saal bleibt. Die Stationen in Witts Leben werden in vier Themenkomplexe eingeteilt, die von einer Bildprojektion begleitet werden.
Mit der Frage „Wie kann ich mir eine junge Silke Maier-Witt vorstellen? Waren Sie im Alter von 16 Jahren bereits politisch motiviert?“ steigt Charlotte Rupprath direkt ins Thema ein und untersucht die familiären Hintergründe von Silke Maier-Witt, ihre Ausbildung, Wendepunkte und die schleichende politisch linke Radikalisierung in einer Zeit, in der die Generation der 68er, die sich mit einer unverarbeiteten Nazi-Vergangenheit konfrontiert sah, gegen das politische System der BRD aufbegehrte.
Johanna Uken diskutiert mit der Ex-Terroristin ihre aktive Zeit in der RAF ab 1977 und das Leben im Untergrund als Nachfolgegeneration der berühmten und von ihr bewunderten in Stammheim inhaftierten Vorgänger, ihre Mittäterschaft in kriminellen Aktivitäten wie der Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der Dresdener Bank Jürgen Ponto und die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer, die Flucht und weitestgehende Zerschlagung der aktiven RAF-Gruppe.
Thekla Henf setzt sich mit der wechselhaften Lebensphase von Silke Maier-Witt auseinander, die – flüchtig – mit Hilfe der Stasi für 10 Jahre in der DDR untertaucht, im real existierenden Sozialismus an mehreren Orten und mit verschiedenen Identitäten versucht, sich ein bürgerliches Leben aufzubauen, sozial vereinsamt und schließlich 1990 im Rahmen der Wiedervereinigung auffliegt und inhaftiert wird.
Helene Mohn versucht abschließend zu ergründen, inwiefern bei Silke Maier-Witt im Gefängnis und im Leben danach ein Lebens- und Sinneswandel stattfindet, wie sie immer wieder öffentlich persönlich in Frage gestellt wird und als Friedenshelferin im Kosovo (Anm.: Silke Maier-Witt lebt aus wirtschaftlichen Gründen noch heute in Nordmazedonien) eine Wiedergutmachung an den Menschen versucht.
Es bleibt die Botschaft, insbesondere an das überwiegend junge Auditorium, die Silke Maier-Witt auch in der sich anschließenden angeregten Diskussion mit dem Publikum beantwortet: Ist Veränderung ohne Gewalt möglich? „Ja, Terrorismus bringt nichts. Er hat nur geschadet. Jemanden zu töten verändert im Grunde genommen nur einen selbst und sonst gar nichts.”
Ausklingen lassen die zahlreichen Gäste diesen abwechslungsreichen und gelungenen Abend mit guten Gesprächen bei Speis und Trank, was Schülerinnen und Schüler des 12. Jahrgangs liebevoll vorbereitet hatten.
Ama Nil Edusei und Greta Hügle, 11. Jahrgang

