Das Handwerk leidet unter Nachwuchsmangel, vor allem Bäcker und Konditoren. Dabei gibt es selbst für Abiturienten hervorragende Aussichten. Besuch bei einer Konditor-Vizeweltmeisterin.

Grün, filigran, meisterhaft – so lässt sich das Schaustück beschreiben, das Deutschland bei der Weltmeisterschaft der Konditoren 2025 den zweiten Platz eingebracht hat. Eine kunstvolle Gartenlandschaft aus Zucker und Schokolade: Sonnenblumen mit fein gearbeiteten Blütenblättern, ein leuchtend weißer Schmetterling, winzige Details wie ein Wassertropfen, der an einem langen Stil hinabgleitet. Das Zentrum und Highlight des 85 Zentimeter hohen Kunstwerks: der besagte Schmetterling, der majestätisch seine Flügel spreizt.

Erstellt haben dieses Meisterwerk nicht erfahrene Konditoren – sondern Amelie Natterer und Marleen Oehmke. Und beide sind nicht nur die Jüngsten im Wettbewerb – sie haben auch die wenigste Erfahrung. Doch was sie mitbringen, macht den Unterschied: Leidenschaft, Talent - und den Mut, einen anderen Weg zu gehen. Kein Studium, kein klassischer Karriereplan. Sondern: Handwerk.

„Eine Ausbildung im Handwerk bedeutet, mit den eigenen Händen etwas Bleibendes zu schaffen , sagt ein Sprecher des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Trotzdem wählen immer noch die meisten den Weg ins Studium – auch weil viele frische Abiturienten ihre Zukunft nicht im Handwerk sehen.

Am 1. September beginnt das neue Ausbildungsjahr, und die Auszubildendenzahlen sinken immer weiter. Während es 2020 noch mehr als 360.000 Auszubildende gab, ist die Zahl im Jahr 2024 auf knapp 340.000 angehende Handwerkelnde gesunken. Auch aktuell zeigen die Zahlen, dass knapp 19.000 Ausbildungsstellen im Handwerk offen sind, auch wenn das Bäckerhandwerk gegen den Trend wächst und die Ausbildungsverträge 2024 um 11,4 Prozent gewachsen sind.Amelie Natterer war eine davon, die sich für diesen Beruf entschieden. Die heute 23-Jährige wusste früh, dass ihre Leidenschaft dem Backen gehört. Schon während ihrer Schulzeit machte sie aus der Küche der Eltern und ihrer drei Geschwister eine Backstube. Mit einem Abiturschnitt von 1,7 hätte ihr jeder akademische Weg offen gestanden – doch 2019 begann sie eine Ausbildung zur Konditorin in der Berliner Kaffeerösterei, die sie 2022 erfolgreich abschloss.

„Hauptsache, es macht mir Spaß – das ist das Wichtigste, sagt Natterer. Schon während der Schulzeit sammelte sie zudem erste Eindrücke in der Profiküche der Berliner Luxusherberge „Hotel de Rome",  wo sie direkt nach der Ausbildung eine Anstellung fand.

Doch schnell wurde klar: Die Welt der Hotelküche ließ wenig Raum für ihre eigentliche Leidenschaft – die kreative Konditorei. Statt Törtchen standen dort vor allem klassische Desserts auf dem Plan. Also wechselte sie zum renommierten Schokoladenhersteller Rausch in der Hauptstadt, wo sie seit Januar 2025 tätig ist – eine Empfehlung einer Kollegin und ein Schritt, den sie nicht bereut hat.

Kalina Pupp, die stellvertretende Leiterin der Patisserie bei Rausch, nennt Amelie bereits nach etwas über einem halben Jahr in dem Unternehmen einen festen Bestandteil des Teams. „Sie zeigt, wie engagiert, kompetent und vor allem zukunftsorientiert junge Menschen heute im Handwerk arbeiten. Sie bringt frischen Wind ins Team", sagt Pupp.

Bei Rausch konnte sie ihre Vorstellungen endlich umsetzen – und fand in Chefin Katja Liebing nicht nur eine Mentorin, sondern auch die Person, die sie zum nächsten großen Schritt motivierte: der Teilnahme am nationalen Marzipan-Cup. Aus eigenem Antrieb hätte sie sich nicht beworben, gesteht Natterer. Doch sie wagte es – und gewann den Wettbewerb mit Bravour.

Damit war der Weg auf internationales Parkett geebnet: Es ging zum UIBC-Cup of Confectioners, der Weltmeisterschaft der Konditoren. Teilnehmer aus fünf Ländern – Deutschland, Albanien, Korea, Mexiko und Vietnam – traten an zwei Tagen gegeneinander an. Ziel der Veranstalter ist es, die internationale Ausrichtung des Konditorhandwerks zu zeigen. Deshalb auch die Auswahl dieser Länder. Gefordert war ein Schaustück unter dem Motto „Kunst", komplett essbar, vor Ort gefertigt, ergänzt durch Torte, Petits Fours, Pralinen und modellierte Figuren.

Das deutsche Team wählte „Monets Garten“ als Thema. Die Kreation: eine Zuckerfigur mit Sonnenblumenmotiv, eine Torte mit Mango-Passionsfrucht-Mousse auf Pistazienboden, Petits Fours mit Blütenaromen wie Kirsche-Veilchen und Rose-Walderdbeere sowie Pralinen mit Cassis-Joghurt und Passionsfrucht-Kokos. Ergänzt wurde das Ganze durch detailgetreue Marzipanfrösche und Seerosen – inspiriert vom berühmten Seerosenteich des Malers. Ergebnis: Platz zwei weltweit.

Pläne für die Zukunft hat Natterer noch nicht: „Ich hatte gerade einen sehr großen Erfolg, da brauche ich mich jetzt nicht zu stressen", sagt sie. Auch der Drang nach einem eigenen Café ist nicht vorhanden. Lieber möchte sie weiterhin junge Lehrlinge ausbilden und ihr Wissen weitergeben. Was sie sich in der Zukunft allerdings schon vorstellen kann, ist, sich weiter zu spezialisieren. Auf die Frage, wie wichtig ihr Geld sei, sagt sie: „Geld spielt immer eine Rolle, aber für mich ist vor allem wichtig, dass ich etwas mache, was mir Spaß macht."

Mit einem Abitur in der Tasche und einem Vizeweltmeistertitel im Gepäck zeigt Amelie Natterer, dass Erfolg viele Wege kennt – und manchmal nach Schokolade duftet.

Anselm Natterer

Der Autor ist Praktikant der Handelsblatt-Redaktion und der Bruder von Amelie Natterer. Der Text erschien zuerst am 3.9.2025 auf www.handelsblatt.com und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Zeitung nachgedruckt.